Krenzer"12 Jahre – 12 Schicksale" im Geschichtsunterricht1945  

4) Materialien: 1945 – Struthoff Seite 32 von 32

M32 – Verhalten der Zeugen Jehovas im KZ Niederhagen/Wewelsburg81
 
Die Zeugen Jehovas bildeten im Konzentrationslager eine enge Gemeinschaft mit festen Strukturen und ausgeprägtem Zusammengehörigkeitsgefühl. Vor ihrer Haft hatten sie bereits in engen Glaubensgemeinschaften gelebt und ein durchstrukturiertes Organisationsnetz zur gegenseitigen Hilfe und Glaubensverbreitung gebildet. Diese Strukturen wurden auf die Lagersituation übertragen und auf die extremen Lagerverhältnisse zugeschnitten. Die meisten Häftlinge hatten vor dem KZ-Aufenthalt bereits Erfahrungen mit den Verfolgungsinstanzen der SS und der Gestapo gemacht, die es ihnen ermöglichten, gerade die entscheidende Phase der Einlieferung zu bewältigen. Auf der gemeinsamen Basis ihrer vorkonzentrationären Erfahrungen konnten die Bibelforscher kollektive Verhaltensweisen entwickeln, die ihnen die extremen Anforderungen der konzentrationären Situation erleichterten. Sie bildeten solidarische Gruppen, die sich untereinander halfen. Paket- und Geldsendungen wurden durch Gemeinschaftskassen und ein Vorratssystem stets gleichberechtigt verteilt, so dass auch Schwächere oder Häftlinge ohne Angehörige unterstützt werden konnten. Bei Krankheiten und Verlet-zungen pflegten sie sich untereinander. Wurde ein Glaubensbruder mit Essensentzug bestraft, teilten sie ihre Rationen mit ihm. ...

Den Bibelforschern gelang es, durch disziplinierte Arbeitsteilung und durch die Einhaltung hygienischer Regeln den Bettenbau und die Stubenreinigung so zu organisieren, daß ihre Blöcke stets sauber waren. ... Sowohl Infektionen als auch kollektive Ordnungsstrafen konnten auf diese Weise reduziert werden. Ihre Disziplin und ihr Gehorsam gegenüber der SS wurden durch ihre religiöse Orientierung bedingt. Ihr Glaube gab ihnen die Kraft, die Lagerzeit zu überstehen, denn er bot einen Interpretationsrahmen, der die konzentrationären Ereignisse und Verhältnisse umfasste und Zukunftsperspektiven bieten konnte. ... Aus diesem Denken heraus erklärte sich die neutrale Haltung der Bibelforscher-Häftlinge, die sie auch im KZ Niederhagen beibehielten. Sie befolgten die Befehle der SS, solange sie nicht ihrem Glauben widersprachen und sie keine Gewalt gegen andere Häftlinge ausüben mussten.

Doch die durch ihren Glauben bestimmten Verhaltensweisen konnten den Zeugen Jehovas auch schaden, wenn die Verhaltensnormen der SS überschritten wurden. Die unbeugsame Haltung der Bibelforscher provozierte einen Teil der SS so sehr, daß sie zum Objekt ihrer Schikanen und Miß-handlungen wurden. Nur selten gelang es der SS, den Willen der Bifo-Häftlinge zu brechen, denn die Bibelforscher im Lager, die den Revers nicht unterschrieben, waren ihrem Glauben so stark verbun-den, daß sie eher märtyrerhaft in den Tod gingen als ihren Glauben aufzugeben. ...

Durch gemeinsame Bibellesungen und geistigen Zuspruch richteten die Bibelforscher ihre verzweifelten und geschwächten Glaubensbrüder wieder auf.

 

81 John 1996, S. 136ff.

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