Krenzer"12 Jahre – 12 Schicksale" im Geschichtsunterricht1939  

4) Materialien: 1939 – Fey Seite 15 von 32

M15 – Margarete Buber-Neumann, Frauen-KZ Ravensbrück73
 
Als erste legte die Kolonne „Angorazucht“ die Arbeit nieder. Die Bibelforscher erklärten, festgestellt zu haben, daß die Wolle der Kaninchen für Heereszwecke verwandt werde, und es sei nicht mit ihrem Glauben vereinbar, weiterhin in dieser Kolonne zu bleiben. Grundsätzlich seien sie bereit zu arbeiten. Noch am gleichen Tage verweigerte die Gärtnereikolonne „Kellerbruch“ die Arbeit, da das geerntete Gemüse an ein SS-Lazarett geschickt werde. Im ganzen erklärten ungefähr neunzig Bibelforscher, von nun ab keine Kriegsarbeit mehr leisten zu wollen, und man ließ sie auf dem Hof des Zellenbaus drei Tage und Nächte Strafe stehen. Dann warf man sie in den „Bunker“ in Dunkelarrest. ... Die schon entkräfteten Frauen wurden ohne Jacken, ohne Decken für die Nacht, ohne jegliche Sitzgelegenheit in diese dunklen Barackenräume gesperrt. Sie erhielten täglich eine Ration Brot und alle vier Tage Es-sen. Dort blieben sie vierzig Tage. Aber im Laufe der Zeit kam der Befehl von der Gestapo aus Berlin, daß jede Arbeitsverweigerung mit 75 Stockhieben zu bestrafen sei. Die Bibelforscher, von denen viele zwischen fünfzig und sechzig Jahren alt waren, erhielten dreimal je 25 Stockhiebe. Nach vierzig Ta-gen sah ich sie im Bad. Sie waren wandelnde Skelette und mit Striemen bedeckt. Alle hatten Hunger-ruhr und machten den Eindruck von Geisteskranken. Viele wurden sofort ins Krankenrevier gebracht. Als man die Bibelforscher aus Block 25 herausließ, erklärten sie, auch weiterhin keine Kriegsarbeit leisten zu wollen und von jetzt ab das Zählappellstehen zu verweigern, denn „wir erweisen nur Jehova die Ehre, nicht der SS“! Man verteilte sie über die Baracken des ganzen Lagers, und die Blockältesten erhielten den Befehl, sie mit Gewalt zum Zählappell zu bringen. Menschliche Blockälteste ließen sie zum Antreten hinaustragen, aber auf manchen Blocks schleifte man sie zu jedem Appell auf die Lagerstraße. Da hockten dann die alten Frauen während der langen Zeit des Appells zusammengekauert auf dem Boden bei Regen und Kälte. Doch sie verweigerten weiter die Kriegsarbeit und das freiwillige Appellstehen. ...

Die Bibelforscher oder „Zeugen Jehovas“, wie sie sich nennen, waren die einzige Häftlingsart in Ravensbrück, die eine geschlossene Überzeugungsgemeinschaft bildeten. ... Dieser Glaube verlieh den Bibelforschern eine ungeheure Kraft, und in den Jahren des Konzentrationslagers haben sie bewiesen, daß der Tod für sie keinerlei Schrecken hatte, daß sie im Namen Jehovas Unsägliches leiden konnten, ohne schwach zu werden. Wieviel einfacher hat es doch ein religiöser Märtyrer, für den es ein leuchtendes Jenseits gibt, als so ein politischer „Gläubiger“, der stirbt, damit durch seinen Kampf und Opfertod die kommenden Generationen besser leben mögen. ...

Bis 1942 waren alle Bibelforscherinnen in Ravensbrück die von der SS gesuchtesten und am meisten begehrten Arbeiterinnen im KZ. ... In ihrer Pflichttreue, Arbeitsamkeit, absoluten Ehrlichkeit und in der strengsten Befolgung aller SS-Befehle konnte sich die Lagerobrigkeit keine idealeren Sklaven denken. Es ging so weit, daß ihnen besondere Passierscheine ausgestellt wurden, mit denen sie ohne Bewachung durchs Lagertor zur Arbeit aus und ein gingen, denn eine Bibelforscherin würde niemals aus dem Konzentrationslager entfliehen. ... Für eine „Zeugin Jehovas“ ist aber das Leben ohne „Bibelforschen“ die größte Strafe. Sie leben mit allen Fasern in der biblischen Welt und vergleichen ständig, was um sie geschieht, mit dem Wort der „Heiligen Schrift“ ... Erst nachdem ich einige Zeit ihre Blockälteste war, stellte ich fest, daß meine „Bibelwürmer“, so hießen sie im Lagerjargon, im Besitze von Bibeln und Bibelforschertraktätchen waren.

 

73 Margarete Buber-Neumann: Als Gefangene bei Stalin und Hitler, Stuttgart 1968., S.218f., 195ff.

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