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4) Materialien: 1943 – Windolph | Seite 26 von 32 |
M26 – Gestapo-Akte „Johanna Windolph“
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a) Vernehmung Johanna Windolph, 11.8.1939 | |
Seit dem Jahre 1923 bin ich verheiratet und habe jetzt einen Sohn von 15 Jahren, der als
kaufmännischer Lehrling bei der Firma Prinzenberg beschäftigt ist. Mein Mann ist bei der Firma H. Lehmann in Düsseldorf als Montageschlosser
beschäftigt.
Ich will nun erklären, wie ich zu der Lehre der Bibelforscher gekommen bin. Ich bin katholisch erzogen worden und habe auch katholisch geheiratet. Als ich den katholischen Glauben als Irrlehre erkannt hatte, bin ich mit meinem Mann und meinem Kind in vollster Übereinstimmung zur evangelischen Kirche übergetreten. Auch hier habe ich den wahren Glauben nicht erkannt, sondern bin gewissermaßen vom Regen in die Traufe gekommen. Durch Vorträge und Bücher sind mein Mann und ich zu der Leh-re Jehovas gekommen. Diese haben wir als die allein seligmachende und wahre erkannt und angenommen. Wir sind ihr auch bis zum heutigen Tage treu geblieben und haben unser Kind in diesem Sinne erzogen. Da ich von den Menschen kein Heil erwarte, erkenne ich nur die Gesetze an, die mit den Gesetzen Jehovas übereinstimmen. Deshalb ist es mir unmöglich, den Luftschutzpflichtdienst anzuerkennen und kann aus dieser Überzeugung heraus auch an keinem Luftschutzlehrgang teilnehmen. Ich stehe unter dem Schutze Jehovas und nicht unter dem der Menschen. Wenn mir vorgehalten wird, dass ich als Deutsche der deutschen Volksgemeinschaft gegenüber Verpflichtungen habe, so erkläre ich, dass ich dem Menschen gegenüber wohl gewisse Verpflichtungen habe, aber in diesem Falle der Behörde gegenüber nicht. Ebenso bin ich nicht in der Lage den Gruß „Heil Hitler“ auszubringen, denn ich kann von keinem Menschen Heil erwarten, dieses kommt nur von unserem Gott Jehova. Mein Sohn Günter wird mir durch das Jugendamt Krefeld entzogen, weil er ebenfalls erklärt hat, ein Zeuge Jehovas zu sein. Aus diesem
Grund ist er nicht Mitglied der HJ. geworden. Trotz nochmaligen Vorhalts bleibe ich dabei, dass ich nicht an einen Luftschutzlehrgang
teilnehmen werde, und nach wie vor meiner Überzeugung treu bleibe. Bemerken möchte ich noch, dass ich schwermütig bin.
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b) Schlussbericht, 11.8.1939 | |
Die beschuldigte Windolph ist eine fanatische Anhängerin der Internationalen-Bibel- forscher-Vereinigung.
Sie, ihr Mann und deren 15jährige Sohn sind derart in die Irrlehre verrannt, dass sie durch Reden und Aufsässigkeit eine Gefahr für die
Öffentlichkeit bilden. Der Sohn Günter weigert sich jetzt schon auf Grund seiner, von den Eltern gelehrten, Überzeugung in die H.J.
einzutreten und wird auch bei Genügung seiner Arbeitsdienst- und Militärpflicht bestimmt Schwierigkeiten machen. Aus diesem Grunde wird
jetzt den Eltern des Personenfürsorgerecht durch das hiesige Jugendamt entzo-gen. Die Familie Windolph bildet mit der berüchtigten Familie
Wolff eine gefährliche Klicke, wie dieses aus einem hier erfassten Briefwechsel hervorgeht. Die Wolff hat sich ebenfalls geweigert an einem
Luftschutzlehrgang teilzunehmen und befindet sich z.Zt. in Untersuchungshaft.
DA die IBV. bekanntlich jede Staatsführung verneint und es ablehnt im Falle eines Krieges für das Vaterland zu kämpfen, weigert sich die Windolph jetzt schon an einem Luftschutzlehrgang teilzunehmen. Sie stört sich weder an Gesetze noch an Verordnungen und hat sich bei der Polizei mehrmals geweigert an den Kursusen teilzunehmen. Es besteht kein Zweifel, dass die Beschuldigte auf Grund ihrer Überzeugung und Redegewandheit auch die übrigen Hausbewohner zur Nichtteilnahme an den Kursen beeinflussen und somit zum Ungehorsam gegen die Gesetze auffordert. Dieses bedeutet besonders in der heutigen gespannten politischen Lage Hochverrat und Untergrabung der Staatsdisziplin, dem nur durch
schärfstes Durchgreifen entgegen getreten werden kann.
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c) Gestapo Krefeld an Gestapo Düsseldorf, 2.9.1939 | |
Ich überreiche in der Anlage den von dort angeforderten Personalbogen und eine Vernehmungsdurchschrift.
Der Haftbefehl gegen die Frau W. ist inzwischen auf Anordnung des Oberstaatsanwalts als Leiter der Anklagebehörde bei dem Sondergericht in
Düsseldorf wegen Geringfügigkeit aufgehoben worden. Das Verfahren nimmt jedoch seinen Fortgang.
(Den Begriff „Geringfügigkeit“ kommentierte der Düsseldorfer Gestapo-Beamte am Rand mit „Wahnsinn“. Handschriftlich fügte er die dreifach
unterstrichene Anweisung hinzu: „Sofort Schutzhaft“.)
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d) Gutachten des Amtarztes des Gesundheitsamtes Krefeld Klaholt, 7. Februar 1940 | |
Frau Johanna Windolph wurde heute im Auftrage der Geheimen Staatspolizei untersucht.
Frau W. macht einen sehr eigentümlichen stark neurasthenischen Eindruck. Auf ihre nervöse Erregbarkeit ist auch die erhebliche Herzbeschleunigung zurückzuführen. Anzeichen für eine Erkrankung der inneren Organe finden sich bei ihr nicht. Auf Grund längerer Beobachtung hat die Heil- und Pflegeanstalt Johannsithal in Süchteln erklärt, dass Frau W. keine Anzeichen von Geistesgestörtheit bietet, aber an ihren religiösen Ideen festhält. Ich gebe zu, dass keine ins Auge springenden Anzeichen für eine Intelligenzstörung vorliegen, aber die von ihr bei meiner Untersuchung im vorigen Jahr vorgebrachten religiösen Ideen müssen doch als sehr absonderlich und an der Grenze des Krankhaften stehend bezeichnet werden. Frau Windolph kann für gewöhnliche, nicht zu schwere Frauenarbeit als arbeitsfähig bezeichnet werden. Wie eine Internierung in
einem Lager auf sie einwirken wird, muss vorläufig dahingestellt bleiben, die Möglichkeit einer Verschlimmerung ihres Zustandes
und damit auch ihrer sonderbaren ans Wahnhafte streifenden Ideen ist nicht von der Hand zu weisen. Z. Zt. muss sie als lager- und
haftfähig bezeichnet werden.
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e) Vernehmung Johanna Windolph, 7.2.1940 | |
In den letzten Monaten, die ich in der Heil- und Pflegeanstalt Süchteln zugebracht habe,
habe ich mir die Sache eingehend überlegt. Ich bin bereit, die Gesetze des Staates, soweit sie mit dem göttlichen Gesetz übereinstimmen,
zu beachten. Auch an einen Luftschutzlehrgang bin ich bereit teilzunehmen, soweit es in meinen körperlichen Kräften steht. Meine innere
Einstellung zur Bibel ist dieselbe geblieben und will sie für mich allein in Anspruch nehmen. Mit der Internationalen Bibelforschervereinigung
habe ich nichts zu tun. Wenn mir vorgehalten wird, dass meine Auslegung der Bibel dieselbe ist, wie die Irrlehre der IBV, so bleibe ich dabei,
dass ich mit dieser Sekte nichts zu tun habe. Es stimmt wohl, dass ich früher Vorträge der IBV mit meinem Mann angehört habe. Von dem Redner
bin ich auf die heilige Schrift aufmerksam gemacht worden und ich glaube, dass sie die einzige richtige Wahrheit ist.
Die von mir geforderte Erklärung, dass ich mich auch innerlich von der Lehre der IBV freimachen soll usw. kann ich nicht unterschreiben. Ich lasse mir meinen Glauben nicht aus dem Herzen reissen. Auch den Gruss „Heil Hitler“ kann ich nicht anwenden, weil den Gruss sich unser Herr Christus vorbehalten hat und nur von ihm Gesundheit und Leben zu erwarten ist. Ich bin auf die Folgen meiner Festhaltung an der Irrlehre der IBV meiner inneren Glaubensüberzeu-gung aufmerksam gemacht worden und weil
ich kein Heuchler werden kann, bleibe ich dieser treu.
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f) Begründung des Schutzhaftbefehls, 8.3.1940 | |
Sie gefährdet nach dem Ergebnis der staatspolizeilichen Feststellungen durch ihr Verhalten
den Bestand und die Sicherheit des Volkes und Staates, indem sie auf Grund ihrer unveränderten Einstellung zur IBV Anlass zu der
Befürchtung gibt, sie werde bei vorzeitiger Freilassung dazu beitragen, den Abwehrwillen der inneren Front zu untergraben.
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g) Telegramm an Gestapo Düsseldorf, 16.4.1943 | |
Die W. hat am 20.3.1943 im KL. Ravensbrück die für Bibelforscher übliche Erklärung unterschrieben,
wonach sie sich von der Lehre dieser Sekte freigemacht hat. Der Schutzhaftbefehl wird hiermit aufgehoben.
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