Krenzer"12 Jahre – 12 Schicksale" im Geschichtsunterricht1943  

4) Materialien: 1943 – Windolph Seite 27 von 32

M27 – Buber-Neumann, Freiwillige Häftlinge78
 
Die „Zeugen Jehovas“ waren in gewissem Sinne „freiwillige Häftlinge“. Für sie genügte es, sich bei der Oberaufseherin zu melden, den Bibelforscher-Revers zu unterschreiben, um noch am gleichen Tage in die Freiheit entlassen zu werden. ... Ich fragt einmal eine Bibelforscherin: „Ich kann nicht begreifen, warum ihr nicht unterschreibt. Was hindert euch das, weiter in eurem Glauben zu beharren und heim-lich zu agitieren? Damit würdet ihr doch eurer Bewegung viel mehr nutzen, als im KZ zugrunde zu gehen.“ – „Nein“, war die Antwort, „das können wir nicht mit unserem Gewissen vereinbaren. Der SS diese Unterschrift leisten, hieße sich mit dem Teufel verbünden.“... Meine Bibelforscher sprachen aber nicht nur von Jehova und dem kommenden „Goldenen Zeitalter“, manchmal erinnerten sie sich auch an ihre zurückgelassenen Kinder oder Männer. Vor allem, wenn am Sonnabend die Post ausgeteilt wurde. Für viele kamen zwar Briefe aus den Konzentrationslagern Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen von ihren Männern, die ebenfalls Bibelforscher waren, aber andere erhielten Nachrichten von zu Hause. Da schrieb der Mann von Ella Hempel, der in dem kleinen sächsischen Dorf Krethen mit vier Kindern zurückgeblieben war, jedesmal die gleichen flehenden Bitten, schon seit mehr als zwei Jahren: „Meine liebe Ella, wann kommst Du endlich nach Hause? Der Haushalt ist unordentlich, die Kinder haben nicht die rechte Pflege, der Garten und die Landwirtschaft verkommen langsam. Wie kannst Du nur so hartherzig sein und die Deinen im Stich lassen. Da hält der liebe Gott bestimmt nicht für richtig ...“ Ella saß mit dem Brief in der Hand, und die Tränen flossen. Da begann ich mit ihr zu reden: „Ella, wie kannst du so etwas ertragen? Wo du die Möglichkeit hättest, heute noch heimzufahren?“ Sie warf den Kopf in den Nacken: „Ja, so etwas kann ein ‚Weltmensch‘ wie du eben nicht verstehen! Jehova befiehlt: ‚Du sollst Weib und Kind verlassen und mir nachfolgen!‘“ Die Tränen waren versiegt, und mit fanatischem Gesicht stürzte sie sich, einen Wischlappen in der Hand, auf das Reinemachen im Block.
 

78 Buber-Neumann 1968, S. 204.

Krenzer"12 Jahre – 12 Schicksale" im Geschichtsunterricht1943