Krenzer"12 Jahre – 12 Schicksale" im Geschichtsunterricht1940  

4) Materialien: 1940 – Kusserow Seite 20 von 32

M20 – Hilda Kusserow, Mutter von Wilhelm Kusserow, 18. April 1940
 
Geehrter Herr Dr. Rohr!

Ihr Schreiben vom 17. April gelangte in meine Hände. Vielmals danke ich Ihnen für Ihr freundliches Bemühen für meinen lieben Sohn. Daß das Gnadengesuch nur unter gewissen Bedingungen Erfolg hat, war wohl zu erwarten. Ich verstehe wohl, wenn Sie mich mit Deutlichkeit auf den Ernst der Lage aufmerksam machen, denn auch Sie wünschen meinem Sohn das Leben zu erhalten.

Daß mein Sohn resp. die Zeugen Jehovas nicht wegen ihres Glaubens verfolgt werden, ist von Ihrem Standpunkt gesehen richtig, ebenso wurde Jesus Christus nicht wegen des Glaubens (nach allgemeiner Auffassung) ans Kreuz geschlagen, d.h. wäre Jesus in Nazareth geblieben und hätte bei seinem Vater treu in der Werkstatt gearbeitet, dabei an Gott geglaubt, wäre er nie in Widerspruch mit den führenden religiösen und politischen Persönlichkeiten geraten. Doch er sagt selbst: „Ich bin dazu geboren ... um der Wahrheit ein Zeugnis zu geben.“

Die grosse Wahrheit war und ist noch jetzt die Aufrichtung des Reiches Gottes. Also Jesus musste seine Glaubenstreue dadurch beweisen, daß er die Pflicht auf sich nahm, die Aufrichtung des Reiches Gottes bekanntzumachen. Das war eine Kampfansage an alle damalig bestehenden Reiche der Welt. Jesus wies auf die Prophezeiung Daniels hin „... Wenn das Reich aufgerichtet wird, es alle Reiche dieser Welt vernichten, selbst aber ewiglich bestehen wird.“ Daniel 2:44

Viele Christen, die den Kirchensystemen angehören, meine, die Hauptsache des Christentums bestehe in einem christlichen Lebenswandel, den man möglichst vervollkommnen müsse, obwohl sie selbst die Worte im Gebete sprechen: Dein Reich komme (damit) dein Wille geschehe im Himmel, also auch auf Erden.

Das Königreich der Himmel, die ideale Regierung, die Christus auf der Erde aufrichtet, ist von alles überragender Wichtigkeit. Und Jesus hinterliess seinen Nachfolgern den Auftrag oder das Gebot, das Kommen dieser gesegneten Regierung zu predigen, was durch jede mögliche Art besonders nach der Kriegszeit 1914-18 auch in Deutschland geschehen ist.

Durch diese Pflichterfüllung dem hohen Schöpfer, Gott Jehova gegenüber, sind die Zeugen für Jehova und sein Königreich in den größten Glaubenskampf aller Zeiten geraten. Wir sind nicht im Zweifel, daß das Königreich Gottes bald den Sieg davontragen und den denkbar größten Segen bringen wird.

Dieses obige teile ich Ihnen mit, damit Sie, Herr Dr. Rohr, ein Verständnis haben für die Weigerung meines Sohnes und für mein Verhalten ihm gegenüber.

Untreue gegen Gott kostete Adam sein Leben und alle damit verknüpften Segnungen. Völlige Treue wird von jedem Geschöpf gefordert, dem Leben auf himmlischer oder irdischer Daseinsstufe von Gott gewährt werden wird. Gott ist gerecht. Steht mein Sohn im Dienste des Königreiches Gottes, so muss er seinen Gehorsam beweisen, selbst bis in den Tod. Nur dann wird er auferweckt zu seiner Zeit und kann die Segnungen des Reiches Gottes auf Erden empfangen. Stellt er sich in den Dienst einer irdischen Regierung, so geht er der Segnungen des Reiches Gottes verlustig. Es gibt für ihn auch keine Auferstehung, denn kein weltlicher Herrscher ist in der Lage, seine Treuen, die für ihn gestorben sind, wieder zu Leben zu bringen. „Niemand kann zwei Herren dienen.“ Wie kann also das Leben meines Sohnes gerettet werden? Jesus sagt: „Wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es erhalten.“ Vieles möchte ich noch erwähnen, auch über die Feindesliebe, wenn sie es wünschen, zu einem späteren Zeitpunkt.

Für heute ist mein Interesse darauf gerichtet, daß Sie meinen Brief noch rechtzeitig erhalten. Im Gebete bin ich mit meinem Sohne verbunden und sein Leben wird der allgütige Gott Jehova in seine Hand nehmen und wir alle, die wir auch bis zum Ende treu bleiben, werden ihn bald wieder sehen. Wenn es möglich ist, übermitteln Sie meinem Jungen am Schluss seines Lebensweges diesen meinen Trost.

Dann habe ich noch einen Wunsch für sie: Möchten auch Sie die Segnungen der wunderbaren Gottesherrschaft empfangen und das damit verbundene Glück für alle Zeitalter. Allerdings ist der Weg des Gotteskämpfers nicht so leicht, daß man durch einen sekundendauernden Gang durch das Tor in die Ewigkeit eingeht. Auch Jesus Christus hat sich nicht seinen Angehörigen usw. erhalten, ebenso wenig seine Nachfolger. Er hat nur 3˝ Jahre gewirkt. Er wurde fast jedes Verbrechens angeklagt, das in den Strafgesetzen zu finden war, wurde einem allem Recht und Gesetz hohnsprechenden böswilligen und brutalen Verhör unterworfen, ungerecht verurteilt und auf schimpfliche Art zu Tode gebracht. Die Erfahrung kostete Jesum alles, dessen ein vollkommener Mensch sich erfreuen konnte und vor allem auf eine Zeitlang den Verlust der Gemeinschaft mit dem himmlischen Vater.

Sein Opfer kostete seinem Vater Jehova den teuersten Schatz seines Herzens.

Hierin erkennen wir den Ausdruck vollkommener Selbstlosigkeit, wahrer Liebe. Und weshalb? Damit der im Glauben gehorsame Mensch lebe und in der von der zuvor bestimmten Zeit die Segnungen einer idealen, vollkommenen Regierung geniessen möge. In dieser einzigen Hoffnung grüsst Sie

Gez. Frau Kusserow
 

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