Krenzer"12 Jahre – 12 Schicksale" im Geschichtsunterricht1935  

4) Materialien: 1935 – Wickenkamp Seite 4 von 32

M4 – Auszüge aus dem Tagebuch Heinrich Wickenkamps
 
a) Titelseite des Tagebuchs
 
Titelseite Tagebuch

 

b) Tagebucheintrag zum 7. Juli 1935
 
Tagebuch 7. Juli 1935

 

c) Transkription
 
Freitag, den 1. März 1935.

Meine Tätigkeit beim Städt. Jugendamt, die nahezu 11 Jahre dauerte, war mit dem gestrigen Tage beendet, da zu heute meine Versetzung nach der Stadthauptkasse verfügt wurde. Ein wenig überraschend kam mir und meinen Mitarbeitern diese Verfügung doch. Besonders die Leiterinnen der beiden städt. Weisenhäuser waren sprachlos, zumal ich fast vier Jahre die Verwaltung dieser beiden Häuser hatte und, wie mir immer wieder versichert wurde, ich doch mein Bestes für gedeihen getan habe.

Ich selbst werde diese Zeit, die mir zwar sehr viel Arbeit brachte, lange noch in Erinnerung behalten. Vier Abteilungsleiter und die übrigen Kollegen sprachen ebenfalls ihr größtes Bedauern aus. Aber na, wer weiß, wo es gut für ist.

Heute früh trat ich den Dienst bei der Stadthauptkasse an. ... Zunächst hatte ich mit dem Stadtmeister eine etwa einstündige Unterhaltung. [Man hatte] – dieses erfuhr ich im Vertrauen von wirklich netten und einsichtsvollen Kollegen und jetzigen Hausmeister – vermutet, ich müsse in bezug auf die nationalistische Einstellung irgendwelche Hemmungen haben ... Ich hielt, nachdem ich dieses erfahren hatte, natürlich mit der Bekanntgabe meiner Einstellung und meiner Gesinnung überhaupt nicht zurück. Vor allem erklärte ich, daß obgleich ich keineswegs gegen die neue Regierung sei, zwei Punkte vorhanden seien, in denen ich abweichen müsse.

1.) Den Hitlergruß könne ich nicht erweisen, weil er eine Menschenverehrung darstelle. Das diese Weigerung kurzgenommen eine Pflichtverletzung gegenüber der vor kurzem ergangenen Verfügung des Oberbürgermeisters – meines Dienstvorgesetzten – und des Erlasses des Reichsministers bedeute, sei mir völlig klar und bewusst. Doch ich könne nicht anders! Für mich gebe es kein anderes Heil, als das in Apg. 4:12 festgelegte, in Christus Jesus!

2.) Einer politischen Organisation könne ich nicht beitreten. Ich habe noch nie einer Partei angehört und als Christ, der sich streng an die Bibel hält, könne ich kein Mitglied irgendwelcher politischen Organisation werden. Für mich sei nicht das Weltliche, sondern das Jenseits von größter Bedeutung. Und eben deshalb bleibe ich bei meiner Einstellung.

Während wir über den 2. Punkt weiter nicht debattierten führt der geforderte Hitlergruß zu der längeren Aussprache.

Sehr ... ist immer und war auch heute ein Mann, der mit sich reden lässt und anderen Absichten Verständnis entgegenbringt. Er hörte mich vorsichtig an und meinte dann teilnahmsvoll, es würde ihn herzlich leid tun, wenn ich dieserhalb Schiffbruch erleiden werde und das wäre nach Lage der Dinge doch gar nicht so ausgeschlossen. Man könne mich mit Ruhegeld entlassen. Ich entgegnete, das ich mir der Tragweite meiner Handlungsweise voll bewusst sei. Doch ich werde meine Gesinnung nicht verkaufen, um [meine Stellung] zu halten.

Wenn man mich als politisch unzuverlässig bestraft, müsste man mit mir machen, was man für richtig hält. Ich habe im Laufe der Jahre schon soviel Schwierigkeiten gehabt und nähme auch, wenn es sein müsste, eine Pensionierung letztendlich Entlassung hin. Es täte mir wohl l eid um meine Frau und mein Kind, aber letzten Endes kann ich nicht gegen mein Gewissen und gegen meine Überzeugung handeln. Ich müsste eben sehen, das wir auskämen; es werde schon gehen. Auf die Frage nach der Untertänigkeit meiner Obrigkeit erkläre ich entschieden, dass Gott und Christus meine Obrigkeit seien. Nach einigem Überlegen meinte Sehr. Die Sache müsse in einer Aussprache mit dem Oberbürgermeister und dem Personalregimenter entschieden werden, womit ich gerne einverstanden bin. Ich vertraue dem Herrn! Er wird alles so leiten, wie er es für mich und meine Familie für gut befindet!

 

Sonntag, den 7. Juli 1935.

Ein Disziplinarverfahren wurde gegen mich wegen der Zugehörigkeit zur Bibelforschervereinigung und wegen Gehorsamsverweigerung in bezug auf den Gruß eingeleitet. Ich soll mich durch mein Verhalten in und außer dem Amte der Achtung, des Ansehens und des Vertrauens, die mein Beruf erfordert, unwürdig gezeigt haben. Im Hinblick auf die Schwere der Dienstverfehlung bin ich mit sofortiger Wirkung meines Dienstes enthoben. Außerdem ist ab 1.6.35 eine vorläufige Gehaltskürzung um 25 v.H. angeordnet. ...

Die ganze Angelegenheit hat im Rathause großes Aufsehen erregt und ist augenblicklich einige Zeit Rathaus- und Stadtgespräch gewesen. Die tollsten Entstellungen werden berichtet, so soll ich beispielsweise verhaftet worden sein. Die Ansichten der Kollegen sind verschieden. Während viele sagen, man müsse mit den Wölfen heulen, ... erklären einige, man habe Achtung vor mir ...

 

Donnerstag, den 15. Juni 1939.

Eine große Sensation im Lebensroman!

Es ist doch gut, dass man nicht im voraus alles, weiß, was einem im Leben alles begegnet. So kommen dann manchmal Überraschungen, an die man nicht im entferntesten gedacht hat. War das heute ein Tag! Meine Frau und ich hatten vorgestern eine Ladung zu einem Gerichtstermin erhalten.

Da wir uns den Grund nicht erklären konnten und von unserer Familienrechtssache die Rede war, ahnten wir nichts gutes. Um 11 1/2 Uhr wurde uns dann auch vom Vormundschaftsrichter ein böser Schlag versetzt. Er eröffnete uns die sensationelle Neuigkeit, dass man die Absicht habe, uns unser Kinde Edelgard zu nehmen, und es in einem Heim unterzubringen, weil es bei uns nur politisch gefährdet sei und wir es nicht im nationalsozialistischen Sinne erziehen. Diese Nachricht traf uns doch wie ein Schlag ins Gesicht. Soll man so etwas glauben? Wir bemühen uns, das Kind mustergültig zu erziehen und da sagt man uns, es ist gefährdet und bedarf der Anstaltserziehung!!! Als ich den Richter nach den näheren Gründen fragte, sagte er, ich lehne doch den Hitlergruß ab und dieses beweise meine Einstellung zum heutigen Staat. Ferner habe ich ja wohl keine Hakenkreuzfahne und zu den Sammlungen hätten wir auch nichts gegeben. Ich erklärte ihm die Gründe für die Ablehnung des Grußes, der eine Menschenverehrung bedeute, die sich aber nicht mit der Schrift vereinbaren lasse, worauf er meinte, die Bibel habe doch schon schrecklich viel Unheil angestellt. Nun sucht er mich zu bewegen, mich umzustellen; denn gerade durch den Gruß wolle man heute die Einstellung der Staatsbürger erkennen. Ich antwortete ich habe dieserhalb bereits meine Stellung fahren lassen, worauf ich die Antwort erhielt, er wundere sich darüber, aber dieser Schlag werde mich härter treffen, da es sich bei dem Kinde um mein Fleisch und Blut handele und ich jetzt meine Frau und das Kind zugrunde richten werde. Ganz entschieden erklärte ich, dass ich, wenn es nicht anders ginge, auch das in Kauf nehme; denn gegen mein Gewissen und gegen die Schrift, die Gottes Wort sei, werde ich nicht handeln. Er meinte, wenn ich mit dem Kopf durch die Wand wolle, würde mein Kopf zertrümmert. Meiner Frau ging die Sache äußerst nahe, was mir sehr sehr leid tut. Sie verteidigte sich aber trotzdem tapfer. Man gab uns schließlich auch Recht, das ein Kind von 4,5 Jahren von Politik noch keine Ahnung haben könne. Ich sagte auch, wir hätten noch ein Mädchen Doris im Alter von 6 Monaten, ob dieses auch schon gefährdet sei?

Nachdem unsere Aussagen zu Protokoll genommen und von uns unterschrieben worden, waren wir zunächst entlassen. Was nun weiter kommen wird, müssen wir Abwarten. Ich stelle alles dem Herrn anheim.

 

Montag, den 11. Dez. 1944.

Eine neue Sensation! 2 Tage Haft in einer Zelle der hiesigen Polizeiwache! Als ich am Freitag, den 8.12.44 abends zwischen 6 und 7 Uhr auf dem Parteibüro meine Papiere bezüglich meiner schweren Herzerkrankung vorlegte, weil man mein ordnungsgemäßes Schreiben in der Volkssturm-Angelegenheit angeblich nicht anerkennen konnte, ließ mich der Herr Ortsgruppenleiter ... durch einen Polizeibeamten verhaften. Ich sollte nämlich den Eid leisten, was ich mit Rücksicht und unter klarem Hinweis auf meine schwere Krankheit ganz konsequent ablehnte. Bevor mir der Polizeibeamte die Handschellen anlegte, gab ich auf die nochmalige Frage, ob ich jetzt bereit sei, den Eid zu leisten, ein glattes „Nein“ zur Antwort. So wurde ich gefesselt und wie ein Schwerverbrecher durch die Stadt nach der Polizeiwache gebracht und dort nach Abnahme meiner Sachen ... eingesperrt.

Krenzer"12 Jahre – 12 Schicksale" im Geschichtsunterricht1934