Religiöse Bildung in Deutschland |
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Dabei ist die ganze Aufregung eigentlich überflüssig. Längst hat das Bundesverwaltungsgericht
die Rechtmäßigkeit eines Ethik-Pflichtunterrichts bestätigt.1 Das Urteil erklärte
einen christlich tendierenden oder gar missionierenden Ethikunterricht für unzulässig: das Fach müsse neutral unterrichtet werden. Die von
den Richtern geforderte Gleichwertigkeit von Religions- und Ethik-unterricht ist von der Schulwirklichkeit jedoch noch recht weit entfernt:
Teilweise gibt es nicht einmal einen Studiengang für angehende Ethiklehrer, auch die Fortbildung fachfremd unterrichtender Lehrer ist mangelhaft.
Ethik wird häufig von Religionslehrern erteilt. An ihre Adresse gewandt, forderte Herbert Huber, langjähriger Referent für Ethik am bayerischen
Staatsinstitut für Schulpädagogik, ganz offen, daß Lehrer in den Ethikunterricht die „konfessionsverbindende christliche Substanz einbringen"
und die christliche Überlieferung in allen Fächern „offensiv" betreiben sollten.2 |
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Schulische „Wertevermittlung“ oder „Werteerziehung“, ob im kirchlich verantworteten
Religionsunterricht oder im neutralen Ethikunterricht, steht vor einem grundsätzlichen Problem: schon der Wertbegriff an sich unterstellt
einen eindeutigen Wertekanon, „verbunden mit einem schwer begründbaren Objektivismus (evt. auch Monismus) der Werte, und weil zusätzlich
oft noch von einer festgelegten Werte-Hierarchie ausgegangen wird, die philosophisch nicht als konsensfähig zu betrachten ist.“ Der
Ethik-Unterricht bemüht sich an dieser Stelle um ein gleichberechtigtes Nebeneinander unterschiedlicher Antwort- und Deutungsmöglichkeiten.
„Auf der Ebene der letzten Entscheidungen läßt der Ethik-Unterricht den Individuen die Freiheit und ist dazu ‚von Staats wegen‘ verpflichtet,
weil er keine Weltanschauung (incl. Religion) favorisieren darf.“ Aber auch der Religionsunterricht unterliegt „ebenso wie der Ethik-Unterricht
dem Indoktrinationsverbot“. Jedoch werden die Antwortversuche im Religionsunterricht zum Deutungshorizont der jeweiligen Kirche in Beziehung
gesetzt.3 |
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Dabei müssen andere Deutungshorizonte nicht ausgeklammert werden. Der Ökumenische Rat der Kirchen
hat sich diesbezüglich bereits 1970 im „Schlußmemorandum einer Konsultation zwischen Hindus, Buddhisten, Christen und Muslimen“ in Ajaltoun/Beirut
dazu bekannt, in den Lehrplänen „Einrichtungen für einen einfühlsamen Unterricht über andere Religionen“ zu schaffen. Es wurde außerdem vereinbart,
religiöse Lehrbücher zu überarbeiten oder neu zu schreiben, „um sicherzugehen, daß jede Religion in einer angemessenen Darstellung erscheint und
von Anhängern anderer Religionen nicht verunglimpft wird.“ Ergänzend legte der Ökumenische Rat 1971 in Addis Abeba eine „Vorläufige Grundsatzerklärung“
vor, die einen Unterricht fordert, „mit dem Christen auf ein angemessenes Verständnis anderer Religionen und Ideologien vorbereitet werden“. Aus den
Unterrichtsmaterialien sollte alles eliminiert werden, „was Fanatismus und eine verständnislose Haltung zu Menschen anderer Religionen und Ideologien
fördert“.4 |
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Diese Vereinbarungen sind Mindestanforderungen, die nicht nur für die sogenannten Weltreligionen
gelten dürfen, sondern auch den Unterricht über religiöse Minderheiten prägen müssen. Was im öffentlichen Meinungskampf möglich ist, muß für die
Schule tabu sein: die Stigmatisierung von Minoritäten und die Verbreitung von Fehldeutungen und Falschinformationen. Hier gibt es noch großen
Nachholbedarf. Der Staat, der in seinen Schulen Religions- bzw. Ethikunterricht auf den Stundenplan setzt, und die Lehrer, die diesen Unterricht
durchführen, müssen sich der Herausforderung stellen, auch Kinder aus religiösen Minderheiten in den Klassenverband zu integrieren und ihnen das
Gefühl zu vermitteln, akzeptiert und verstanden zu werden. Eine Schule, die ein Lebensraum für alle Schüler sein will, muß „sich für die Vielfalt
der Religionsgemeinschaften im gesellschaftlichen Umfeld und für die durch religiöse Tradition geprägten Lebensvollzüge der Kinder und Jugendlichen
öffnen”.5 |
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1 |
BVerwG 6 C 11.97 vom 17.6.1998 |
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2 |
In: St. Rehm (Hg.), Staat und Weltanschauung, 1997, 23/45. Zitiert
nach G. Czermak, Anmerkungen zum Ethikunterricht-Urteil des BVerwG vom 17.6.1998. |
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3 |
Gisela Raupach-Strey, Philosophieren lernen als Ziel des Ethik-Unterrichts.
In: Domsgen, S. 279, 297ff |
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4 |
Udo Tworuschka, Analyse der evangelischen Religionsbücher zum Thema
Islam. In:Falaturi, S. 14. |
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5 |
Folkert Doedens, Man muß die Feste feiern, wie sie fallen.
In: Lippe, S. 46ff. |
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