Didaktische Tendenz der Lehrpläne |
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Während die Lehrpläne den Weltreligionen inzwischen durchweg Akzeptanz und Respekt
entgegenbringen,
finden religiöse Minderheiten immer noch mehrheitlich entweder eine eingehende Thematisierung unter
dem Gesichtspunkt der Prävention oder eine periphere Betrachtung im Zusammenhang mit negativen
Ausfallerscheinungen wie Suchtverhalten oder Gewalt. Eine kleinere Gruppe Curricula spart den
Gegenstand völlig aus. Zu diesen gehören z.B. die neu überarbeiteten Lehrpläne für die Realschule
in Baden-Württemberg. Dort war bislang eine ausführliche Behandlung mit eindeutig präventiver Tendenz
vorgesehen. Eine weitere Anzahl von Lehrplänen bevorzugt eine eher neutrale Darstellung. Überwiegend
werden religiöse Minderheiten in den Jahrgängen 8 oder 9 zum Unterrichtsgegenstand gemacht.
Eine ausführliche Thematisierung in der Sekundarstufe II, wie in Evangelischer Religionslehre in Mecklenburg-Vorpommern
vorgesehen, ist eher selten. |
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Die unterschiedliche Ausrichtung der Lehrpläne ist unabhängig von Fach und Schulform. Insbesondere ist nicht festzustellen,
daß etwa der Religionsunterricht stärker präventiv ausgerichtet sei als das dem Neutralitätsgebot verpflichtete Fach Ethik
oder seine jeweiligen Entsprechungen. Dies führt zu dem paradoxen Befund, daß möglicherweise eine Gruppe von Schülern abhängig
vom Unterricht, den sie erhalten, eindringlich vor gefährlichen Sekten gewarnt werden, während ihre Klassenkameraden, die an
einem anderen Fach teilnehmen, nicht einmal von der Existenz der vermeintlichen Gefahren erfahren. |
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Eine ausschließliche Ausrichtung des Unterrichts auf den Gesichtspunkt der Prävention ist problematisch, da die pauschale Gleichsetzung
"Minderheit = Gefahr" den fachwissenschaftlichen Erkenntnissen widerspricht. Guter Unterricht wird
als seine wesentliche Aufgabe erkennen, sachliche Informationen zu bieten, die selbstverständlich kritische Aspekte nicht ausblendet.
Die alleinige Fokussierung auf Abwehr kann dies nicht leisten, denn die Schüler bemerken schnell, wohin der Weg führen soll.
"Die Jugendlichen ahnen, daß es letztlich darum geht, sie ernsthaft-freundlich zu ermahnen, sich bloß nicht zu intensiv auf
vermutlich fragwürdige ‚Kulte‘ einzulassen. Damit wären aber die Spielräume für ein eigenständiges Urteilen fast aufgehoben; hier
lohnt sich keine intellektuelle Anstrengung mehr, weil das Ergebnis ja quasi schon feststeht. Irgendwie ‚wissen‘ dann alle schon alles,
bevor es auch nur richtig zur Sprache gekommen ist."1 Ein solches Vorgehen wirkt übergeordneten Lernziele wie der Förderung von
Akzeptanz und Toleranz entgegen und verstärkt bestehende Vorurteile und Stigmatisierungen. Leittragende sind unmittelbar solche Schüler,
die einer religiösen Minderheit angehören und Ausgrenzung und Stigmatisierung erleben müssen. |
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Till Warmbold, "Bald hat fast jeder ein Tattoo ..." – Über ein Projekt "Kult"
im Religions- und Ethikunterricht in der 10. Jahrgangsstufe. In: Domsgen, S. 334. |
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