Inhaltliche Dimension der Lehrpläne |
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In einer Reihe von Lehrplänen werden religiöse Minderheiten im Zusammenhang
mit Okkultismus behandelt. Diese Kombination ist unsachgemäß: Religiöse Minoritäten sind der Religionsgeschichte zuzuordnen,
ihre Mitglieder sind weitgehend Erwachsene. Okkulte Praktiken sind dagegen überwiegend in der Jugendszene anzutreffende Phänomene. |
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Ebenfalls häufig anzutreffen ist die Strategie, die Zugehörigkeit zu religiösen Minderheiten
in einen Zusammenhang mit Lebensuntüchtigkeit und/oder pathologischem Suchtverhalten zu stellen. So seien „Fanatismus, fixe Ideen,
Sektierertum, Flucht in Alkohol und andere Drogen, Minderwertigkeitskomplexe, Suizidabsichten“ die „Folgen und Gefahren einer
verfehlten Sinnorientierung“ (Bayern Gy E). Auch die Unterrichtsreihe „Achtung Sackgasse! – Wenn aus Sehnsucht Sucht wird“ warnt
vor einem vermeintlichen Irrweg, wenn sie Sekten pauschal als „pseudoreligiöse Gruppierungen“ bezeichnet (Bayern Gy KR).
Ausgerechnet die Richtlinien zur „Fächerübergreifenden Toleranzerziehung“ (Thüringen) sehen in „Gewaltanwendung ... neben
Suchtverhalten, Sinnsuche in Sekten oder im Satanismus sowie Suizid(versuchen) nur eine Variante, inadäquat auf Konflikte
zu reagieren“. Andere Lehrpläne versuchen sogar, Verbindungen zu politischem Extremismus zu konstruieren, wenn sie „Sekten
und (rechts-)radikale Gemeinschaftsideologien“ auf eine Stufe der unterrichtlichen Betrachtung stellen (Sachsen-Anhalt E,
ähnlich Hessen HS E). |
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Einige Lehrpläne suggerieren durch sprachlich abwertende Verknüpfungen, daß
ihre Präventionsabsicht gerechtfertigt ist. Teilweise sind es subtile Formulierungen, die religiöse Minderheiten einem „Markt
der Heilsangebote“ (Baden-Württemberg Gy KR) zuordnen, wo sie „verkürzte Angebote“ (Hes-sen Gy KR) unterbreiteten. Während
Schüler mit Blick auf die Weltreligionen lernen sollen, „was andere glauben“, wird mit Bezug auf religiöse Minderheiten gefragt:
„Was versprechen mir andere? (Schleswig-Holstein ER), wobei in der Frage die Nichteinhaltung dieser Versprechen bereits mitschwingt.
Andere Lehrpläne werden aber auch deutlicher und verurteilen religiöse Minderheiten offen als moderne Irrlehren: „Menschen haben
ihre Vorstellungen von Gott in greifbaren Götzenbildern ausgedrückt (Goldenes Kalb: Ex 32). In modernen Götzen (Konsum, Sport,
Medien, Technik, Schönheit, Stars, Sex) und Heilslehren (Sekten, Esoterik, Jugendkultur, Suchtverhalten) setzt sich dieses
Verlangen fort“ (Hessen KR). |
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Häufig wird die Zuwendung zu religiösen Minderheiten unter dem Gesichtspunkt
der Sinnsuche dargestellt. Ohne den Gemeinschaften ernsthafte Religiosität zuzubilligen, wird ihnen eine Rattenfängermentalität
unterstellt: „religiöse Sondergruppen und ‚Sekten‘ ... haben sich auf die Suche vieler Menschen eingerichtet. Sie greifen offen
die Unzufriedenheit mit den Traditionskirchen auf und stellen sich als eine bessere Form von Gemeinschaft dar.“ Besonders
gefährdet seien Jugendliche, die „das Geheimnisvolle und Unbekannte“ fasziniere und deren Neugier durch „sensationelle
Medienberichte, z.B. Meldungen über Massenselbstmorde“ (sic!) geweckt werde. Wenn auch Jugendliche „nicht mehr die
Hauptzielpersonen dieser Gruppen“ seien, machten sie sich dennoch „die jugendliche Suche nach Orientierung zu Nutze“
(Rheinland-Pfalz ER). Dies sei eine „Herausforderung für Politik, Schule und Kirche“ (Baden-Württemberg Gy KR). Die Schüler
sollen erkennen: „Die Suche nach ‚gefälligeren‘ Heilslehren kann labile Schüler unversehens in Kontakt mit neureligiösen
Bewegungen bringen, welche die Schwachstellen von Gesellschaft und Kirche nutzen und Jugendliche vor allem bei ihren Bedürfnissen
ansprechen. Die Faszination, die von solchen Gruppen ausgeht, sollen sie durchschauen und die Gefahr, statt in Freiheit in neue
Abhängig-keiten zu gelangen, soll ihnen bewußt werden. Sie sollen darin bestärkt werden, daß Kirche auch für junge Menschen ein
Hoffnungszeichen sein kann, daß sie einen Weg zur Überwindung von Lebensangst und die Chance zu einer erfüllten Existenz in der
Gemeinschaft Gleichgesinnter bietet“ (Bayern Gy KR). |
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Die für viele Lehrpläne typische Beschreibung der Zuwendung zu religiösen
Minderheiten als fehlgeleitete Sinnsuche ist nicht akzeptabel, da sie den Großkirchen implizit ein Monopol bei der religiösen
Sinnstiftung zuschreibt. Sinngebung und Heilsversprechen sind aber integraler Bestandteil jeglicher religiöser Überzeugung.
Die Heilslehre von Minderheitenreligionen pauschal als „einfache Welterklärungen“ (Baden-Württemberg Gy8 KR) abzuqualifizieren,
mißachtet die Würde derer, die durch diese Lehre Glück und Lebenssinn gefunden haben. Es spiegelt die weltanschauliche
Überheblichkeit jemandes wider, der nicht informieren will, sondern einfach glaubt, es besser zu wissen, besonders wenn die
vermeintliche Überlegenheit auch noch in diskriminierendes Mitleid mündet: „Bei all dem muß der ernstzunehmende und oft gutmütige
Eifer vieler Mitglieder dieser Gemeinschaften von den unterdrückenden Strukturen der Gruppen und ihrer Lehre unterschieden werden“
(Rheinland-Pfalz ER). |
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Die Fokussierung auf den Aspekt der Sinnsuche, die „Wege des Einstiegs“
vorzugsweise auf „Lebenskrisen, Enttäuschungen, Einsamkeit“ (Sachsen MS E) zurückführt, verkennt darüber hinaus, daß
sich die Mitglieder religiöser Minderheiten nicht ausschließlich aus Konvertiten zusammensetzen. Jehovas Zeugen sind z.B.
seit mehr als 100 Jahren in Deutschland präsent. Viele Familien gehören der Glaubensgemeinschaft bereits in der vierten
oder fünften Generation an. Ihre religiöse Überzeugung hat der Eltern- und Großelterngeneration die moralische Kraft
verliehen, zwei Diktaturen trotz schwerster Verfolgungen zu widerstehen, ohne sich gleichschalten zu lassen. Dennoch
werden sie, ihre Kinder und Enkel als Personen verunglimpft, die auf „Formen naiver Lebenshilfe“ (Thüringen ToE)
hereingefallen seien. |
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