Inhaltliche Dimension der Lehrpläne |
Seite 2 von 3 ← → |
|
Häufig werden die Glaubenssätze religiöser Minderheiten aber nicht nur als naiv oder
falsch diskreditiert, sondern auch pauschal als gefährlich hingestellt. Die Feststellung, „daß ‚anders‘ nicht gleichgesetzt werden kann
mit ‚gefährlich‘“ (Mecklenburg-Vorpommern ER) ist eine wohltuende Ausnahme. Vielfach wird ungeachtet gegenteiliger wissenschaftlicher
Erkenntnisse immer noch vor „Fremdbestimmung durch psychologische Methoden“ und „möglichen negativen psycho-sozialen Auswirkungen“
(Thüringen ER) gewarnt. Der erst 2004 revidierte sächsische Lehrplan kolportiert weiterhin das Konzept der Gehirnwäsche durch
„‚Love-bombing‘, ‚snapping‘, ‚programming‘“ als „Methoden der Mitgliederwerbung“ (Sachsen MS ER). Zur pauschalen Kennzeichnung
der Situation innerhalb religiöser Minderheiten verwendet beinahe jeder Lehrplan eine mehr oder weniger umfangreiche Auswahl der
nachfolgenden Begriffe: Da ist von „Psychoterror, psychischer Manipulation“ (Sachsen Gy E), Realitäts- (Baden-Württemberg Gy8 ER),
Persönlichkeits- (Bayern Gy KR) und Identitätsverlust (Hessen ER), Isolation (Bayern HS ER) und Gruppenzwang (Sachsen-Anhalt SekS ER),
autoritären (Hessen Gy8 E) und destruktiven (Sachsen Gy E) Strukturen und „Problemen beim Ausstieg“ (Rheinland-Pfalz ER) die Rede.
Weiterhin werden den Gemeinschaften als gemeinsame Merkmale „Fanatismus und Fundamentalismus, ... falsches Erwählungsbewußtsein“
(Bayern Gy KR) und „Tarntätigkeiten“ (Hessen ER) angelastet. |
|
Es wirkt befremdlich, wenn der Unterricht behauptet, religiöse Minderheiten würden mit der
Angst z.B. vor einem Weltuntergang auf Seelenfang gehen, gleichzeitig aber Lehrer darauf verpflichtet werden, genau das zu tun, nämlich mit
der Angst vor Sekten die Seelen der Schüler zu fangen. Von einem kirchlich verantworteten Religionsunterricht mag man nichts anderes als
eine undifferenzierte Mißbilligung erwarten, denn letztlich geht es darum, die eigene Kirche als die den „Sekten“ vorzuziehende Alternative
zu präsentieren. Unverständlich ist jedoch, daß auch das vermeintlich neutrale Fach Ethik in diese Kerbe schlägt. Endgültig problematisch
wird diese Haltung, wenn sogar die Religionsfreiheit zur Disposition gestellt wird. So sollen Schüler am Beispiel „Sekten“ die „Grenzen der
Toleranz“ (Hessen HS E) ausloten oder „die Bedeutung des Artikels 4 des GG erkennen und seine Problematik im Blick auf sog. ‚destruktive‘
religiöse Gemeinschaften lernen“ (Mecklenburg-Vorpommern Gy ER). Wenn ein Lehrplan feststellt, „die Auseinandersetzung mit neuen religiösen
Bewegungen, Sondergemeinschaften und ‚Sekten‘ führt zu der Frage nach der Religionsfreiheit und deren Grenzen“ (Rheinland-Pfalz ER), ist es
von der Frage bis zur Forderung, grundgesetzlich garantierte Rechte einzuschränken, nicht mehr weit. |
|
← ↑ → |
|
|