Calwer/Diesterweg – Kursbuch Religion 2000 9/10 |
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Heidrun Dierk, Helmut Hanisch, Britta Hübner, Gerhard Kraft, Dieter Petri, Hartmut Rupp, Heinz Schmidt, Jörg Thierfelder, hgg. von Gerhard Kraft, Dieter Petri, Heiz Schmidt, Jörg Thierfelder
Kursbuch Religion 2000 9/10, Calwer Verlag, Stuttgart und Verlag Moritz Diesterweg, Frankfurt a. M. 1999.1 |
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Typ |
Lehrbuch Religion Jahrgangsstufe 9/10 |
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Thematische Einbettung |
6. von 7 Hauptkapiteln: Heilsbringer (21 Seiten = 8,3%)
4 Kapitel:
− Verführung oder Verheißung (7 Seiten)
− Propheten - Heiler - Medien (4 Seiten)
− Okkultismus - Spiritismus (4 Seiten)
− Religion der Zukunft? (4 Seiten)
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Bezeichnungen, Definitionen |
Sekte: (von lat. secta) von Kirche abgespaltene Sondergemeinschaft (kirchlicher Sektenbegriff) und/oder
sich von gesellschaftlicher Umwelt abgrenzend (kultureller Sektenbegriff)
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Gemeinschaften |
Bild: Vereinigungskirche, Heaven’s Gate (ohne Nennung)
Darstellung: Heaven’s Gate (2 Seiten), Zeugen Jehovas (2 Seiten), Mormonen (1 Seite), Christliche Wissenschaft (1 Seite),
Universelles Leben (1,5 Seiten), Scientology (2 Seiten) |
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Quellen der Gemeinschaften |
(fiktive) Webseite von Heavens Gate (englisch), (fiktives) Gespräch mit einem Zeugen Jehovas, Auszüge aus Publikationen
der Gemeinschaften (Mormonen, Christliche Wissenschaft, Universelles Leben) |
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Gleich auf der Auftaktseite wird unter der Überschrift
„Sekten = Heilsbringer?“ der Begriff „Sekte“ definiert (s.o.). Laut Lehrerband wurde dabei „bewußt zunächst eine
Problematisierung der Definition von ‚Sekte‘ vermieden, etwa eine pejorative Konnotation des Begriffs. Denn dieser
enthält die Perspektive einer Mehrheit, die die Wahrheit für sich beansprucht, auf eine abtrünnige Minderheit.“ Diese
Absicht wird allerdings durch eine vier Merkmale umfassende Checkliste konterkariert, die der Definition beigestellt
wird. Zudem weist der Lehrerband auf die Möglichkeit hin, den Unterricht mit einer der Abbildungen der Doppelseite zu
beginnen: einer unscharfen Großnahme des Kopfes von Marshall Herff Applewhite, des Führers von Heaven’s Gate, dessen
weit aufgerissenen Augen den Betrachter unangenehm anstarren: „Sch. betrachten das Bild des Sektenführers Applewhite.
L. initiiert ein ‚Brainstorming‘ dazu. Hier sind Sch.-Reaktionen zum ekstatisch wirkenden Sektenführer, zum priesterlichen
Gestus und Gewand etc. zu erwarten.“ Ein weiteres Bild zeigt eine „Massentrauung in der Mun-Sekte“ und soll die Betonung
auf den Begriff „Gemeinschaft – um welchen Preis?“ legen. Zur Vertiefung werden den Schülern im Lehrerband zwei Materialseiten
zur „Mun-Sekte“ vorgelegt. Diese enthalten einen längeren Text, der überwiegend der Geschichte der Gemeinschaft gewidmet
und von einem abwertenden Sprachduktus gekennzeichnet ist. Außerdem wird eine Übersicht über einen „Mun-Tag“ präsentiert.
Zur Auswertung stellt der Lehrerband eine tafelbildähnliche Übersicht bereit, die der Gemeinschaft durch die Gegenüberstellung
von Anspruch und (vermeintlicher) Wirklichkeit Widersprüche nachweisen soll. Auffällig ist dabei, daß die Selbstbezeichnung
der Gemeinschaft als „Kirche“ zum Anlaß genommen wird, um sie an den Maßstäben und Werten der Großkirchen zu messen, ohne
ihr einen Eigenwert zuzubilligen.
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Derart vorbereitet „dürften die Sch. in der Lage sein“, so meint
der Lehrerband, „eine Erörterung des Sektenbegriffs zu leisten“. Zwar dürfe der Begriff nicht als „Kampfbegriff verwendet werden,
um kleine Religionsgemeinschaften oder anders Denkende zu stigmatisieren. Andererseits gilt: ‚Der Begriff „Sekte“ […] hat jedoch
seine Berechtigung, wo bestimmte Gruppen sich absolut setzen, wo das Wirken Gottes oder des Heiligen Geistes außerhalb der eigenen
Reihen für unmöglich erklärt wird und wo Menschen mit falschen Versprechungen gezielt abhängig gemacht werden.‘“ Anhand eines
weiteren Arbeitsblatts sollen die Schüler „den Facettenreichtum und die Problematik des Sektenbegriffs“ erarbeiten.
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Das erste Kapitel, das als Titel die eigenartige Gegenüberstellung
„Verführung oder Verheißung?“ trägt, ist in drei Unterkapitel gegliedert. In „Mit dem Raumschiff in den Himmel“ geht es „um ein
Segment der Neuen Religiösen Bewegungen“; hier „wird mit Heaven’s Gate eine ‚moderne‘ Sekte vorgestellt“. Das Unterkapitel
„Christliche Sondergemeinschaften“ thematisiert „klassische christliche Sekten“ und deren Einordnung als „Kirche oder Sekte?“;
hier stehen „mit den Zeugen Jehovas, den Mormonen und Christian Science drei ‚traditionelle‘ Sekten im Mittelpunkt“. Die Zielsetzung
dieses Kapitels ist es, „Entscheidungskraft und Urteilsfähigkeit im Um-gang mit den oder dem Anderen“ zu fördern. Es „soll helfen,
angesichts des verwirrenden religiösen Angebots Kriterien und Einrichtungen zu gewinnen, die es gestatten, verschiedene Gruppen,
klassische Sekten und neue religiöse Bewegungen von ihren Botschaften und Strukturen her zu verstehen“. Dieses Unterfangen
ausgerechnet anhand einer Gruppe wie Heaven’s Gate, die 1997 durch ihren Massenselbstmord Schlagzeilen gemacht hat, zu beginnen,
ist ein fragwürdiges Unterfangen, dessen pejoratives Ergebnis bereits zu Beginn feststehen dürfte. Ebenso problematisch ist der
Arbeitsauftrag: „Wir gründen eine neue religiöse Gruppe“. Ohne weiteren Zusammenhang zu Heaven’s Gate heißt es im Anschluß an
deren Darstellung: „Auch mit Religion kann man gute Geschäfte machen, stellen Jugendliche fest. Sie beschließen, eine ‚neue‘
Religion zu gründen. Zunächst beginnen sie mit einer Planungsphase. Sie wissen schon, was sie unbedingt brauchen: Eine
faszinierende Führergestalt. ... Eine moderne Glaubenslehre. ... Einige moralische Grundregeln. ... Formen des Zusammenlebens
und Feierns? ... Wie wird die neue Gruppe bekannt? ... Wie kommt die neue Gruppe zu Geld? Ergänzt die Liste, wenn nötig, und
plant in Gruppen eure neue Religion.“ Die hier vermittelte Sichtweise auf neue religiöse Bewegungen entspricht in keiner Weise
den Erkenntnissen der Religionswissenschaft. Sie spricht diesen Gemeinschaften das ehrliche Bemühen um „Wahrheit“ ab, indem sie
den Schülern suggeriert, „Sekten“ würden aus ökonomischem Profitstreben quasi am Reißbrett konstruiert.
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Aus den folgenden Darstellungen sogenannter „Traditioneller Sekten“
sei die der Zeugen Jehovas herausgegriffen. Die Darstellung ihrer Glaubenslehren beschränkt sich weitgehend auf die Endzeiterwartung.
Der Satz „Die Zeugen hoffen, in den Himmel zu kommen und als ‚Könige und Priester‘ mit Christus zusammen zu herrschen“ ist nicht korrekt.
Die überwiegende Mehrzahl der Zeugen Jehovas hofft gerade nicht, in den Himmel zu kommen, sondern ewig auf der Erde zu leben. Die
Formulierung „So richten sie sich in unserer vergehenden Welt nicht mehr ein“ vermittelt den falschen Eindruck, Jehovas Zeugen seien
völlig weltfremd und nicht in die Gesellschaft integriert. Auch der Vorwurf, die Gemeinschaft lasse gesellschaftliches Engagement vermissen,
relativiert sich, wenn man die engen Grenzen bedenkt, die das Vereinsrecht der deutschen Wachtturm-Gesellschaft bislang auferlegte. Diese
werden internationalen Maßstab z.B. durch Katastrophenhilfe und Alphabetisierungsprogramme durchaus überschritten.2
Überdies stellt das Missionswerk der Zeugen durchaus eine Form ehrenamtlicher Sozialarbeit dar. Vielfach sind die an der Haustür
klingelnden Zeugen Jehovas die letzten verbliebenen Sozialkontakte betagter Menschen, denen (auch ohne „Bekehrung“) aus christlicher
Nächstenliebe über die Einsamkeit hinweggeholfen wird.
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Unter der Überschrift „Lisa: Ich war eine Gefangene“ schließt sich im
Schülerbuch ein Aussteigerbericht zu den Zeugen Jehovas an. Dieser behauptet, Kindern von Jehovas Zeugen werde eingeredet, „daß ihnen
schwere Strafe droht“, wenn sie die „Vorschriften und Gebote“ nicht befolgten. „Diese Gehirnwäsche wird nicht nur mit den Kindern
gemacht, sondern auch mit den Eltern, und zwar unter ständiger Kontrolle“. Der zugehörige Arbeitsauftrag lautet: „Bildet zwei Gruppen,
von denen eine versucht, die Zeugen Jehovas gegen die Vorwürfe ihrer ehemaligen Mitglieder zu verteidigen. Die andere Gruppe antwortet
für die Ehemaligen.“ Zwar würde diese Aufgabe die Problematisierung der bereits diskutierten eingeschränkten Glaubwürdigkeit von
Aussteigerberichten ermöglichen, doch darf bezweifelt werden, daß dies hier intendiert ist, zumal die Schüler mangels Hintergrundwissens
auch kaum eine Argumentationsbasis hätten.3
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1 |
Zum Schulbuch ist auch ein Lehrerband erschienen: Dieter Petri,
Jörg Thierfelder (Hgg.), Kursbuch Religion 9/10, Lehrerhandbuch, Stuttgart, Frankfurt a. M. 2000. |
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2 |
Auch in Deutschland wurde anläßlich der Hochwasserkatastrophe im
Oderbruch im August 2002 der Verein „Solidarität mit Katastrophenopfern“ gegründet. 2003 in „Christliches humanitäres Hilfswerk der
Zeugen Jehovas in Deutschland“ umbenannt, hat der Verein bisher Projekte in mehreren ehemaligen Sowjetrepubliken und in den
Bürgerkriegsgebieten Afrikas unterstützt. Seit der Erlangung der Körperschaftsrechte ist das "Christliche Humanitäre Hilfswerk
der Zeugen Jehovas in Deutschland" eine rechtlich selbstständige Einrichtung der Religionsgemeinschaft. |
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3 |
Einige Angaben des Lehrerbands zu den Zeugen Jehovas bedürfen ebenfalls
der Korrektur und wären wohl presserechtlich angreifbar. Zunächst wird die Berechnung von Endzeitdaten als „charakteristisches Merkmal“
der Gemeinschaft bezeichnet, ohne darauf einzugehen, daß solche früher unternommenen Berechnungen inzwischen (seit drei Jahrzehnten) als
nicht möglich abgelehnt werden. Die Formulierung „Die weltweite Arbeit der Verkündiger wird von ‚Aufsehern’ überwacht“ und „jeder und
jede ZJ hat missionarische Tätigkeit auszuüben“ suggeriert Kontrolle und Zwang. Die Zeugen Jehovas betonen dagegen den seelsorgerischen
Auftrag der Ältesten und die Freiwilligkeit des Missionsdienstes. Entgegen der Behauptung des Lehrerbands werden auch beim Abendmahl der
Zeugen Jehovas Brot und Wein verwendet. Ebenso ist die Aussage „Jehovas Zeugen verstehen sich nicht als organisierte Religion“ nicht
zutreffend. Weitere Vorwürfe betreffen „Autoritäre Führung, Indoktrination und totale Beanspruchung des einzelnen Mitglieds, das von
der Umwelt isoliert und in Abhängigkeit von den ZJ lebt.“ Tatsächlich entscheidet jeder Zeuge Jehovas selbst über den Umfang seines
Engagements und den Umgang mit Andersdenkenden. Gerhard Besier stellt fest, daß Jehovas Zeugen ein „offenes soziales Netzwerk [unterhalten]
bei gleichzeitiger enger innerer Bindung in ihrer Religionsgemeinschaft“ (Gerhard Besier, Renate-Maria Besier, Zeugen
Jehovas/Wachtturm-Gesellschaft: Eine „vormoderne“ religiöse Gemeinschaft in der „modernen“ Gesellschaft? In: Besier,
Scheuch, Bd. 2, S. 149.) Einige Aussagen des Lehrerbands über Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus stehen im Widerspruch zu den
Erkenntnissen der Historiographie. Die Bezeichnung eines Schreibens der Gemeinschaft an Hitler als „Ergebenheitsadresse“ zeugt von
Unkenntnis des Forschungsstandes (vgl. dazu Besier, Besier, a.a.O., S. 119f). Die Darstellung
des „Reichsleiters“ der Gemeinschaft Erich Frost als Verräter ist eine von der DDR-Staatssicherheit verbreitete Verleumdung, die bis
heute immer wieder kolportiert wird. Die Einstu-fung der Verfolgung Frosts („relativ unbehelligt“) ist eine krasse Fehleinschätzung
(vgl. dazu Waldemar Hirch, Operativer Vorgang „Winter“. Zersetzungsmaßnahmen des Ministeriums für Staatssicherheit gegen den Leiter
des deutschen Zweiges der Zeugen Jehovas, Erich Frost, verbunden mit einem Mißbrauch westdeutscher Medien. In: Kirchliche
Zeitgeschichte 12/1999, S. 225-239.). |
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