Schleswig-Holstein
Ministerpräsidentin des Landes Schleswig-Holstein (Hg.) Faltblatt „Apokalypse – No Future? Sekten versprechen viel ... Bleib auf dem Teppich!“,
Februar 2000.
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Das Faltblatt mit dem Untertitel „Endzeitangst – Propheten – Sekten“
wird in seiner Darstellung zunächst von dem reißerischen Titel dominiert. Schon das Wortspiel „Apokalypse – No Future“ suggeriert nicht
nur, die in dem Faltblatt benannten Gruppierungen lehrten, die Menschheit habe keine Zukunft, sondern enthält auch die Aufforderung,
diesen Gruppierungen keine Zukunft einzuräumen, indem man sich einer Mitgliedschaft verweigert. Diese Deutung legt auch ein Comic Strip
nahe. Er zeigt, wie ein mit seinen „Jüngern“ betender „Guru“ von einer Frisbee-Scheibe am Kopf getroffen und damit außer Gefecht gesetzt
wird. Die auf diese Weise „befreiten“ Jünger werfen nach anfänglicher Ratlosigkeit jubelnd ihre weißen Kittel, die ihre uniformierte
Sektenzugehörigkeit symbolisieren, von sich und beginnen ein Frisbee-Spiel mit ihrem „Befreier“. Was soll hier angedeutet werden? Sollen
Sektenmitglieder notfalls mit Gewalt befreit werden?1 Nicht nur dieser Aspekt
ist problematisch. Durch die Comics wird die Ernsthaftigkeit des Glaubens der im Faltblatt angesprochenen Gruppierungen und ihrer Mitglieder
verunglimpft und der Lächerlichkeit preisgegeben. Der Comic sagt nämlich nichts anderes aus, als dass es sich bei den Mitgliedern der
angesprochenen Gruppierungen um „religiöse Wirrköpfe“ handle. Das ist beleidigend und herabwürdigend.
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Der Text des Faltblatts greift aus der Vielzahl der Gruppen Jehovas Zeugen
heraus sowie zwei Gruppierungen mit hinduistischem Hintergrund und eine Gruppe, die an die Rettung durch Raumschiffe glaubt. Bereits der
Titel suggeriert, dass die Genannten nur leere Versprechungen bieten. Durch die Unterthemen „Wann ist Vorsicht geboten?“ sowie „Hilfe
für Betroffene“ wird der Warncharakter der Schrift betont. Unter dem Thema „Rettung? Erlösung?“ wird von Abhängigkeit, Verlust der
persönlichen Freiheit und finanziellen Notlagen gesprochen. Damit unterstreicht das Faltblatt die angebliche Gefährlichkeit der
erwähnten Gruppierungen sowie die vermeintliche Notwendigkeit staatlicher Warnung. Auch der Hinweis, der Bürger müsse darüber
aufgeklärt werden, wann Vorsicht geboten sei und wo „Betroffene“„Hilfe“ erhalten könnten, impliziert eine Einstufung der betroffenen
Gemeinschaften als negativ und gefährlich.
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Die Aufforderung der Zeugen Jehovas2,
das Faltblatt entweder einzuziehen oder aber entsprechende Änderungen an der Veröffentlichung vorzunehmen, wies das Land zunächst
mit der Begründung zurück, das Faltblatt enthalte keine aus dem Zusammenhang gerissenen und verfälschten Informationen. Der kurze
Text verlange knappe, griffige Formulierungen, die notwendigerweise etwas vergröberten. Dies erscheine
vertretbar3. Auf die Petition mehrerer Bürger hin kam der Eingabeausschuss
des Schleswig-Holsteinischen Landtags jedoch zu dem Ergebnis, dass die Kritik an dem Faltblatt begründet und die Diskriminierung
gläubiger Jugendlicher nicht auszuschließen sei. Er setzte sich für eine „schnellstmögliche Überarbeitung“ ein, „um den Eindruck
von Diskriminierungen auszuschließen“4. Nach Klageerhebung durch die
Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas teilte das Land Schleswig-Holstein mit, die Verbreitung des Faltblatts werde eingestellt,
es werde auch nicht neu aufgelegt.
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1 |
Vgl. die 1994 von der Jungen Union verbreiteten menschenverachtenden
Plakate und Aufkleber, die Angehörige religiöser Minderheiten als „Insekten“ (Ungeziefermetaphorik) darstellen, die es mit einer ebenfalls
abgebildeten Fliegenklatsche zu erschlagen gelte. Der Vorfall wurde im Jahresbericht von A. Amor, United Nations Special Rapporteur of the Commission on
Human Rights on the Question of Religious Intolerance, dokumentiert (E/CN.4/1995/91). |
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2 |
Im Hinblick auf Jehovas Zeugen werden insbesondere zwei Vorwürfe erhoben.
Es wird die von Jehovas Zeugen in dieser Form bestrittene Aussage in den Raum gestellt, sie hätten das Ende der Welt auf 1975 datiert. Da
das Faltblatt selbst ergänzt, dass dies der letzte Zeitpunkt einer Datierung gewesen sei, wird dadurch auch deutlich, dass diese Mitteilung
im Sinne einer Warnung überflüssig ist, da sie keinen Bezug zur Gegenwart hat. Auch die weitere – unkritisch aufgestellte – Behauptung, die
Zeugen Jehovas hielten ihre Anhänger zu Schenkungen oder Begünstigungen in Testamenten an, rechtfertigt nicht die Warnung der Bevölkerung,
da es in allen Konfessionen üblich ist, dass die Gläubigen ihre Zugehörigkeit bzw. Unterstützung auch durch finanzielle Zuwendungen zeigen.
Da die Praxis der Großkirchen, die ihren Mitgliedern finanzielle Mittel durch die Kirchensteuer abverlangen, von Seiten des Staates nicht
nur für legitim erachtet, sondern sogar aktiv unterstützt wird, kann die von Jehovas Zeugen geübte Praxis, auf der Basis völliger
Freiwilligkeit gegebene Spenden entgegenzunehmen, nicht Inhalt einer staatlichen Warnung sein. |
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3 |
Schreiben der Staatskanzlei der Ministerpräsidentin Schleswig-Holsteins an
die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas, 14. 7. 2000. |
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4 |
Beschluss des Eingabenausschusses des schleswig-holsteinischen Landtags
vom 30. 5. 2000, Drucksache 15/274, 3. |
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