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Sozial- und religionswissenschaftliche Studien zu religiösen Minderheiten widersprechen
den in der Öffentlichkeit geäußerten Meinungen entschieden. Diese Fehlwahrnehmung bezeichnet Joachim Süss als das eigentliche Sektenproblem:
„Zugespitzt formuliert: Nicht die sog. Sekten sind das Problem ... Es ist ... die Sicht der Mehrheit, die problematisch ist: weil sie diese
Gruppen ungeprüft zu einer Gefahr stilisiert und damit Ausgrenzung, Verketzerung und Intoleranz produziert.“ Die notwendige „hermeneutische
Wende“ müsse damit beginnen, die Existenz religiöser Minoritäten als Normalfall zu akzeptieren. Fremde Religiosität muß als solche ernst
genommen und darf nicht nach den Normen der Mehrheit als deviant abqualifiziert werden. Den heute noch in der Hierarchie der Glaubwürdigkeit
ganz unten rangierenden Mitgliedern religiöser Minderheiten muß das gleiche Recht, Gehör zu finden, eingeräumt werden, wie bislang ihren
Gegnern. „Nur derjenige, der ihre Motive und Beweggründe wirklich kennt – im Bereich des Religiösen meint dies immer auch die spezifischen
Glaubenshintergründe mit –, gewinnt ein realistisches Bild, das von Fehldeutungen frei ist und uns davor bewahrt, Vorstellungen mit der
Wirklichkeit zu verwechseln.“1 Eine solche Betrachtungsweise hilft, Vorurteile
als solche zu identifizieren und abzubauen. Sie führt zu einer reellen Einschätzung der tatsächlichen Gegebenheiten, ohne dabei in sachlicher
Diskussion Kritik auszublenden. Sie wäre auch die für die Schule angemessene Betrachtungsweise: „Wer die religionsgeschichtlichen Fakten
kennt und gelernt hat, wie er sie einschätzen muß, ist auf jeden Fall besser gegen Scharlatane immunisiert als jemand, der bloß mit einem
Feindbild im Kopf herumläuft.“2 |
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