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Zusammenfassung und Vorschläge für eine Neuorientierung

Abschließend sollen anhand der eingangs aufgeführten Kategorien noch einmal wesentliche Merkmale der untersuchten Schulbuchkapitel zusammengefaßt werden:

 

1. Kategorie: Didaktische Tendenz

  • Das primäre Ziel ist nicht Information sondern Prävention.
  • Die verbreitete Verknüpfung der Gegenstandsbereiche „Sekten“ und „Okkultismus“ ist zwar lehrplan-, aber nicht sachgemäß.
  • Die im Lehrerband genannten Zielvorgaben lassen sich teilweise mit dem Schülerbuchmaterial nicht umsetzen.

 

2. Kategorie: Bezeichnungen und Begriffe

  • Stigmatisierende Begriffe wie „Sekte“ oder „Psychogruppe“ werden entgegen der Empfehlung der Enquete-Kommission weiterhin verwendet.
  • Obsolete bzw. irreführende Bezeichnungen wie „Jugendsekte“ sind nach wie vor weit verbreitet.
  • Eine Reflexion über die stigmatisierende Wirkung solcher Begriffe findet nur in Einzelfällen statt.

 

3. Kategorie: Fachwissenschaft

  • Die Ergebnisse soziologischer bzw. religionswissenschaftlicher Forschung, insbesondere auch die Gutachten der Enquete-Kommission, finden kaum Berücksichtigung.
  • Der Beitritt neuer Mitglieder wird nicht als Ergebnis einer selbstgesteuerten Entschei-dung, sondern fälschlich als Ergebnis gezielter Werbestrategien dargestellt.
  • Trotz fehlenden Nachweises wird eine massive psychosoziale Abhängigkeit der Mitglieder behauptet.
  • Die Größenordnung des Phänomens neuer religiöser Bewegungen wird häufig stark übertrieben.

 

4. Kategorie: Selbstverständnis religiöser Minderheiten

  • Die pauschalisierende Behandlung religiöser Minderheiten wird ihrer Vielfalt nicht gerecht.
  • Nur vereinzelt werden die religionshistorischen Wurzeln von Minoritäten thematisiert. Zur Erklärung vermeintlich auffälliger Merkmale (z.B. Stellung eines Guru) werden sie nicht herangezogen.
  • Glaubenssätze religiöser Minderheiten werden, wenn sie überhaupt Beachtung finden, häufig als minderwertig, töricht oder gefährlich abqualifiziert.
  • Kleine Glaubensgemeinschaften werden vielfach ausschnitthaft auf umstrittene Themen (z.B. Ablehnung von Bluttransfusionen) bzw. auffällige Verhaltensweisen reduziert, ohne ihr zentrales Anliegen zu würdigen.
  • Eine Unterscheidung zwischen normativer und gelebter Religion findet nicht statt.

 

5. Kategorie: Kirchen – religiöse Minderheiten

  • Kirchliche Lehren und Praktiken werden (auch in Ethik-Büchern) stillschweigend als Maßstab für die Bewertung religiöser Minderheiten zugrunde gelegt.
  • Die religionshistorisch obsolete Kirchen-Sekten-Dichotomie wird nicht aufgelöst, sondern verfestigt

 

6. Kategorie: Urteilsstrukturen

  • Die Substanzlosigkeit klischeehafter „Mythen“ wird nicht demaskiert, sondern sie werden eher weiter kolportiert.
  • Den Gemeinschaften wird häufig ernsthafte Religiosität abgesprochen und unterstellt, sie verfolgten insgeheim andere Ziele.
  • Die Darstellungen suggerieren überwiegend, der Beitritt zu einer religiösen Minderheit sei in jedem Fall sehr gefährlich.
  • Eine abwertender Sprachduktus fördert die pauschale Verdächtigung bzw. Verurteilung aller Minoritäten.

 

7. Kategorie: Medien, Quellen

  • Die Quellentexte stammen überwiegend von sog. Aussteigern, ohne daß diesbezügliche quellenkritische Überlegungen angestellt würden.
  • Texte aus dem Bereich der religiösen Minderheiten sind, wenn überhaupt vorhanden, stark gekürzt, teilweise veraltet oder sogar entstellt.
  • Teilweise werden reißerischer Meldungen aus Massenmedien unreflektiert übernommen.
  • Sekten-Checklisten sind weit verbreitet, für eine sachgemäße Auseinandersetzung mit der Thematik jedoch völlig ungeeignet.
  • Die Kommunikation mit den besprochenen Gemeinschaften wird nicht gefördert.
  • Den Schülern werden mitunter nicht lösbare Arbeitsaufträge vorgelegt.

 

8. Kategorie: Wirkungen

  • Die Darstellungen sind weitgehend kaum geeignet, den Schülern zu helfen, Anhängern religiöser Minderheiten vorurteilsfrei zu begegnen. Kindern (d. h. Mitschülern) aus religiösen Minderheiten wird allenfalls Mitleid entgegengebracht.
  • Der überproportional große Raum, der den wenigen konfliktträchtigen Gruppen gewidmet wird, steht in krassem Mißverhältnis zur tatsächlichen Bedeutung solcher Gruppen für die Lebenswelt der Schüler.
  • Die Schüler werden auf ein konsequentes Vermeiden des Kontakts mit religiösen Minderheiten eingeschworen.

 

Aus den beschriebenen Merkmalen der betrachteten Schulbücher können, der Kritik Veit-Jakobus Dieterich1 folgend, einige Empfehlungen für zukünftige Lehrbuchgene- rationen formuliert werden:

  1. „Die Differenzen zwischen Eigen- und Fremdposition dürfen weder verabsolutiert noch verharmlost werden, so daß ein Gespräch zwischen beiden noch als möglich und zugleich stets als nötig erscheint, also weder ein ‚Freund-Feind-Schema‘ noch ein ‚billiger Scheinfriede‘ entsteht. Dies schließt den Respekt vor der eigenen und vor der fremden sowie die sachliche Kritik an der anderen und an der eigenen Meinung ein.“ An diesem Respekt mangelt es vielen Schulbüchern bislang. Bei allen Differenzen müssen die religiösen Minderheiten in ihrem Bemühen um Religiosität ernstgenommen und geachtet werden. Sie dürfen nicht als Bedrohung angesehen, sondern sollten als Bereicherung betrachtet werden.

  2. „Es ist darauf zu achten, daß Vorurteile nicht gefördert, sondern abgebaut werden und ein sinnvolles Verhältnis zwischen der Theologie und der Welt der Neuzeit bzw. der Lebenswelt der Schüler und Schülerinnen aufgebaut werden kann.“ Um Fehlinterpretationen und Falschinformationen zu vermeiden, sollten die behandelten Glaubensgemeinschaften bei der Erarbeitung und Gegenlesung der sie betreffenden Schulbuchkapitel stärker einbezogen werden.2

  3. „Die Pluralität der Positionen sowohl innerhalb der Theologie als auch innerhalb der Fremdpositionen sollte den Schülern und Schülerinnen dargeboten werden. Gerade das Aufzeigen unterschiedlicher Positionen innerhalb der eigenen bzw. der fremden Auffassung kann eine einfache Schwarz-Weiß-Malerei verhindern.“ Sinnvoll ist eine Behandlung einzelner Gemeinschaften im Zusammenhang mit ihrer jeweiligen Muttertradition. Dies führt den Schüler vor Augen, daß die Weiterentwicklung sowie die Neugründung religiöser Bewegungen keineswegs die Gesellschaft bedroht, sondern den Normalfall der Religionsgeschichte darrstellt. Der neue Ethik-Lehrplan Thüringens ist hier wegweisend.

„In einer Welt, in der Menschen aus verschiedenen Religionen und Kulturen in unmittelbarer Nachbarschaft leben, ist interreligiöse Begegnung eine Notwendigkeit. ... Zur Vorbereitung einer möglichst fruchtbaren interreligiösen und interkulturellen Begegnung muß bei den Schülern schon vom Grundschulalter an eine positive Grundeinstellung zu ,fremden‘ Menschen und ihren Lebensgewohnheiten aufgebaut werden.“3 Wer andere verstehen will, muß vorurteilsfrei und tolerant, aufrichtig und offen über die Grenzen des eigenen Glaubens hinaustreten können. Konflikte, die sich aus unterschiedlichen Vorstellungen ergeben, dürfen diesen Dialog nicht abreißen lassen. Eine Darstellung religiöser Minderheiten, die nicht auf Vorurteilen beruht, sondern auf einer „unverstellten Wahrnehmung der tatsächlichen Gegebenheiten“4, die auch Kritikwürdiges umfaßt, stellt eine „hermeutische Wende“ dar, die Schulbücher auch im Rahmen bestehender Lehrpläne vorbereiten und begleiten können. Gewinnen werden dabei die Schüler, die auf den Ernstfall der Begegnung vorbereitet werden. Darüber hinaus können sich in einem Unterricht, der das „Wir und die Anderen“-Denken aufgibt, auch Schüler unterschiedlicher Kulturen, Nationen und Religionen angenommen und verstanden fühlen.

 
 

1

Dieterich, S. 148f.

2

Ähnliches fordert Nese Ithiyar für die Islam-Kapitel der Lehrbücher. Vgl. Ithiyar, S. 202.

3

Winkel, S. 1 ff.

4

Süss, S. 13.

   
   

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   "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern"
   ist der Titel eines Liedes von Franz Josef Degenhardt (© 1965).

   © 2005 by Michael Krenzer