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„Sekte ist, wenn ...“ –
Kritik der Kirchen-Sekten-Dichotomie

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Religiöse Neubildungen sind kein Phänomen der Gegenwart. Auch die großen Weltreligionen haben sich einst von einer Muttertradition abgespalten. Religionsgeschichtlich betrachtet, ist es daher nicht sinnvoll, Sekten als eigenständige Gattung böser Pseudoreligionen zu betrachten. Besonders augenfällig wird die Substanzlosigkeit einer solchen Anschauung bei Gemeinschaften, die hierzulande in die Kategorie „Sekte“ eingeordnet werden, weil sie in Europa erst kurz vertreten sind und vergleichbar wenig Anhänger haben, in ihrem Herkunftsland aber über eine vielleicht Jahrhunderte währende Traditionslinie verfügen.1 Die Unterscheidung „Kirche“ – „Sekte“ ist demnach nicht sinnvoll. „Gruppierungen, die als Sekten bezeichnet werden, sind nichts anderes als kleine Religionen, die sich noch im Geburtsstadium befinden“.2

 

Wie bereits dargelegt wurde, resultiert die Verankerung der Dichotomie Kirche-Sekte im Bewußtsein der Öffentlichkeit aus der kirchengebundenen Weltanschauungsarbeit, deren Zweck es gerade ist, Sekten als eine pathogene Religionsgattung neben den Kirchen darzustellen. Zu diesem Zweck finden sich in den Medien immer wieder Negativkataloge mit vermeintlich allgemeingültigen Merkmalen, die als Indikatoren für die Gefährlichkeit alles Außerkirchlichen dienen. Eine der am häufigsten benutzten Checklisten stammt von Friedrich-Wilhelm Haack, Sektenbeauftragter der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. In einem als Standardwerk geltenden Buch3 nennt er drei grundlegende Merkmale von „Jugendreligionen“, die später auch auf alle Sekten angewandt wurden: „der Heilige Meister“, dem alle Verehrung gebühre, „das Rettende Rezept“, das auf den Weg des Heils führe und „die Gerettete Familie“. Diese drei Kennzeichen werden in immer neuen Variationen und Erweiterungen als besonders gefährlich eingestuft. Dabei wird außer acht gelassen, daß es sich religionssystematisch gesehen um wertneutrale, rein formale Merkmale aller Religionen handelt. Eine historische Variante der Haackschen Trias stellen z.B. drei sogenannten Zufluchtsformeln des Urbuddhismus dar: „Ich nehme meine Zuflucht zu dem Buddha. Ich nehme meine Zuflucht zu der Lehre. Ich nehme meine Zuflucht zu dem Orden.“4 Solche Merkmale als typisch für „Jugendreligionen“ oder „Sekten“ zu begreifen, zeugt von religionsgeschichtlicher Unkenntnis. Sie gleichzeitig noch als grundsätzlich negativ zu bewerten, zeugt von einer Verabsolutierung eigener Glaubensüberzeugungen und der unzulässigen Verallgemeinerung subjektiver Interessen und Maßstäbe. „Nur deshalb können die genannten wertneutralen Kennzeichen (als gefährlich) beurteilt werden. ... Haack kann seine ‚Gegner‘ deswegen nicht treffen, weil er sich auf deren jeweilige Andersartigkeit nicht einläßt; dies ist aber Voraussetzung, um sie wenigstens ansatzweise zu verstehen.“5

 

Abgesehen von dem einprägsam kurzen Haackschen Konzept kursieren eine Fülle weiterer Listen, manche von ihnen sind regelrechte Kataloge mit bis zu zwei Dutzend oder mehr Merkmalen. Üblicherweise wird darauf hingewiesen, der religiöse Endverbraucher solle Vorsicht walten lassen, wenn bereits einige wenige der genannten Eigenschaften auf die von ihm ins Auge gefaßte Gruppe zuträfe. Solche Kataloge erweisen sich als unhaltbar: Einige Merkmale treffen nur auf bestimmte Gruppen zu, während andere auch auf die Kirchen anwendbar sind. Wieder andere sind mittlerweile als Mythos entlarvt (z.B. Gehirnwäsche). Pauschale Charakterisierungen stehen einer sachgerechten Auseinandersetzung nur im Wege.

 

1

„Wie beschränkt die Diskriminierung neuer Religiosität ist – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes –, zeigt sich auch daran, daß jenseits der deutschen Grenzen vieles anders gesehen wird. So spielt ... ISKCON bei der Pflege der Hindu-Tradition außerhalb Indiens eine bedeutende Rolle“ (Süss, S. 38).

2

Süss, S. 34.

3

Haack.

4

Baer, S. 351.

5

Scheffler, S. 45f.

   
   

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   "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern"
   ist der Titel eines Liedes von Franz Josef Degenhardt (© 1965).

   © 2005 by Michael Krenzer