Apologetische Kampfbegriffe –
Kritik der Kirchen-Sekten-Terminologie |
Seite 3 von 6 ← → |
|
Die allgemeine Sprachregelung läßt sich in Abwandlung von Orwells „Farm der Tiere“
treffend auf die Formel „Kirchen gut, Sekten schlecht!“ reduzieren. Zwar werden Begriffe wie „Sekte“ und „Kult“ in den
Religionswissenschaften wertfrei verwendet, doch signalisieren diese Etiketten im umgangssprachlichen Gebrauch vor allem eines:
Gefahr! Die verwendete Terminologie schöpft aus dem reichen Repertoire unsachgemäßer Polemik, wenn es die Gemeinschaften als
konfliktträchtig, unverträglich, pervertiert, destruktiv, usw. kennzeichnet. Weit jenseits der verifizierbaren Realität transportiert
die umgangssprachliche Sektenterminologie pejorative Werturteile, die in der Tradition kirchlicher Apologetik stehen. |
|
|
Wie weit die Begrifflichkeit von den empirisch meßbaren Tatsachen entfernt ist, läßt
sich am Beispiel der immer noch häufig verwendeten Bezeichnungen „Jugendsekte“ oder „Jugendreligion“ zeigen. Obwohl diese völlig
unzutreffend sind, da sich in den so benannten Gruppen Menschen aller Altersgruppen finden, prägt die Terminologie das schlechte
Image dieser Gemeinschaften: Sie suggeriert jugendgefährdende Aspekte wie z. B. die gezielte Anwerbung leichtgläubiger, unreifer
Jugendlicher und die Ausbeutung jugendlichen Idealismus zu dubiosen Zwecken. Die mit diesen Begriffen einhergehende stigmatisierende
Wirkung verdeutlicht, wie die Verwendung ideologisch geprägter Bezeichnungen imstande ist, die Religionsfreiheit auszuhöhlen. |
|
|
Wegen solcher „Unschärfe und Mißverständlichkeit“ hat die Enquete-Kommission empfohlen,
auf die weitere Verwendung des Begriffs „Sekte“ zu verzichten. Insbesondere für den staatlichen Gebrauch – etwa in Aufklärungsbroschüren,
Urteilen oder Gesetzestexten – sei er nicht geeignet1. Allerdings ist die Versuchung
groß, alles beim Alten zu belassen. So wird häufig argumentiert, der Begriff „Sekte“ sei wegen seines Gebrauchs als „Kampfbegriff im
religiösen und weltanschaulichen Meinungsstreit“ zwar eigentlich nicht „für Aufklärung und Information“ geeignet, da man aber „ein Wort
für eine erste Kennzeichnung des Themas“ brauche, biete sich in Ermangelung geeigneter Alternativen „‚Sekte‘ auf Grund seiner hohen
Signalwirkung durchaus an“. Auf die Bezeichnung komme es letztlich nicht so sehr an, „denn mit der Benennung ‚Sekte‘ ist das Problem
genauso wenig erkannt wie mit einer ärztlichen Diagnose ‚Krankheit‘“.2 Hier
zeigt sich, daß es bei der Wahl der Termini häufig eben nicht wie behauptet um eine zweifelsfreie Identifizierung eines religiösen
Phänomens geht, sondern darum, die Stigmatisierung alternativer Religiosität als „krank“, abwegig und gefährlich festzuschreiben. |
|
|
Dabei gibt es durchaus neutrale Begriffe, die verwendet werden können. Joachim Süss
schlägt die Folgenden vor: „neue religiöse Bewegung“ für eine Gemeinschaft, die noch nicht konsolidiert ist, deren Entwicklung noch im
Fluß ist; „neue Religion“ bzw. „neuere Religion“ für alle bereits stabilisierten religiösen Organisationen; „nichtkonventionelle
Religion“, um eine sachliche Differenz zum gesellschaftlich sanktionierten Religionsverständnis auszudrücken; „religiöse Minderheiten“
zur Kennzeichnung des Status kleiner Religionsgemeinschaften.3 |
|
1 |
Endbericht Sekten-Enquete, S. 19, 154
(Download: ).
Dies müßte auch die Wendung „Sogenannte Sekten“ betreffen, auf die neuerdings häufig ausgewichen wird. Abgesehen davon, daß die Wendung
den negativ besetzten Begriff weiterhin enthält, kann sie suggerieren „sogenannte Sekten“ seien nicht das, was sie zu sein vorgeben,
ähnlich wie von der bundesrepublikanischen Presse gebrauchte Wendung „sogenannte DDR“ dem anderen deutschen Staat die Staatlichkeit
abzusprechen versuchte. |
|
2 |
Stefan Schlang, Sekten oder was? Zur Kritik des Sektenbegriffs. In:
Jugendministerium Nordrhein-Westfalen, S. 12f. |
|
3 |
Süss, S. 40. |
|
|
← ↑ → |
|
|
|
"Spiel nicht mit den Schmuddelkindern"
ist der Titel eines Liedes von Franz Josef Degenhardt (© 1965).
© 2005 by
Michael Krenzer
|
|